Kreiszeitung Böblinger Bote

Flüchtlinge unter uns: Sprachkurse reichen für ein selbstständiges Leben nicht aus – VHS Böblingen-Sindelfingen bot 285 Kurse

Rund 40 Deutsch kurse pro Tag, in der Summe 285 hat die VHS Böblingen- Sindelfingen vergangenes jahr für 4200 Teilnehmer angeboten. „Trotzdem haben wir nicht genug Plätze für alle Flüchtlinge, die ja teilweise erstmal alphabetisiert werden müssen“, sagt Michael Friedrich, VHS-Fachbereichsleiter für Sprachen.

Von Viktoria Meyer

KREIS BÖBLINGEN. Nach seiner Rechnung müssten sich die Anzahl der Kurse mindestens verdreifachen, um die Anfrage der nächsten zwei Jahre zu decken. Dazu fehle es momentan aber an qualifizierten Lehrern und Räumen, so Friedrich. Die ein- bis drei- monatige Wartezeit auf einen Kursplatz, die momentan der Durchschnitt Sind, frustriere viele Flüchtlinge ebenso wie die Tatsache, dass‚ je nach Herkunftsland‚ die Plätze der einen vom Staat finanziert werden und die der anderen nicht Flüchtlingen aus den Herkunftsländern Syrien, Eritrea, Iran und Irak werden in Deutschland Sprachkurse bis zum B1-Niveau finanziert‚ vorausgesetzt, es gibt einen freien Platz in einem Kurs. Die Wartezeit darauf ist in vielen Fällen lang‚ und das Niveau in keinem Fall ausreichend für einen erfolgreichen Start in ein selbstständiges Leben in Deutschland.

Momentan entstehen an der VHS jede Woche 1-2 neue Kurse. Deutsch ist die einzige Sprache, die im Unterricht gesprochen Wird. Und oft auch der einzig gemeinsame Nenner der aus 86 Nationen stammenden Teilnehmer. „Die Zufriedenheit nach Abschluss der Kurse ist sehr hoch, was vor allem unseren hervorragenden Lehrern zu verdanken ist“, lobt Friedrich. Umso bedauernswerter ist es, dass die staatliche Förderung nach Erreichen des Sprachlevels B1 endet. Laut Definition des europäischen Referenzrahmens kann man damit „die Hauptpunkt verstehen, wenn klare Standardsprache verwendet wird und wenn es um vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. geht“, und sich „einfach und zusammenhängend über vertraute Themen und persönliche Interessengebiete äußern“.

Für eine Ausbildung ist mindestens C1-‚ fürs Studium C2-Niveau nötig

„Das ist aber noch lange nicht genug“, findet Nariman Zoukari Alnabulsi, die seit 2014 in Deutschland lebt. Die Syrerin hat vergangenen Dezember ihre B1-Prüfung mit Bravour bestanden. „Trotzdem kann ich noch nicht alles verstehen, wenn ich ein Buch lese oder offizielle Briefe bekomme“, erzählt die 32-Jährige. Doch genau diese Selbstständigkeit Wäre so wichtig, um eine gute Zukunft in Deutschland zu haben. Mit wohlgewählten Worten und einer weichen, verständlichen Aussprache, erklärt die zarte Frau mit Kopftuch, dass sie so gerne tiefergehender über Themen reden Würde, ihr das auf Deutsch aber noch zu schwer fiele. Nariman weiß, dass sie mindestens das C1-Niveau braucht, um eine Ausbildung auf Deutsch beginnen zu können. Bei einem Studium Wäre es sogar eher C2. „So viele aus meinem Sprachkurs Würden gerne weitermachen und besser Deutsch lernen, doch oft scheitert es einfach am Geld. “Natürlich gibt es auch andere Wege für die Neuankömmlinge in Böblingen, Deutsch zu lernen. Das Internet stellt eine große Hilfe dar, ebenso wie Sprachcafés oder die von HP bereitgestellten Notebooks, die in der Caritas für Flüchtlinge bereit stehen. Doch spätestens für ein entsprechendes Zertifikat sind Sprachkurse unumgänglich.

Ein Sprachkurs kostet einen Teilnehmer rund 200 Euro monatlich. Die meisten Flüchtlinge können diesen Betrag mit dem Geld, das sie monatlich zur Verfügung haben, nicht zahlen. Deshalb ist die Stadt Böblingen vergangenes Jahr selbst aktiv geworden, um die Fleißigen, die es bis zum B1-Niveau gebracht haben, beim Weiterlernen zu unterstützen. Dabei konnte zum einen der Freundeskreis Flüchtlingshilfe(FFH) 3000 Euro durch Spenden beitragen, zum anderen stellte die Bürgerstiftung Böblingen 3000 Euro zur Verfügung. Der Vorstandsvorsitzende der Bürgerstiftung, Michael Fritz, spricht von einer hohen Bereitschaft, beim Thema Sprache zu unterstützen: „Durch die hohe Rückendeckung unserer Stifter und einer großzügigen Spende der Sparkasse war es uns möglich, diesen, Teil der Lösung beizutragen.“

„Sprachförderung ist jetzt erstmal das Wichtigste“, findet auch Günter Steude, der im Beirat der Bürgerstiftung sitzt und die Sprachförderung zusammen mit Martin Rebmann vom FFH initiiert hat, „aber das klappt auch nur mit viel Übung und einer Weitergabe des Wissens der Flüchtlinge untereinander.“

Flüchtlinge mit Arbeitsplatz können auch Steuern zahlen

Auch für das Jahr 2016 wurde vor kurzem Wieder dieselbe Hilfe wie für das vorherige Jahr für die Sprachförderung beschlossen. Außerdem einigte sich die Bürgerstiftung auf drei weitere „Bausteine“ bei der Unterstützung von Flüchtlingsthemen: Die Finanzierung einer Verwaltungsstelle für den FFH, verstärkte Unterstützung bei der Berufsintegration und eine Hausaufgabenbetreuung für Flüchtlingskinder.

Auf den ersten Blick sieht es also vielleicht so aus, als sei alles unter Kontrolle. Jedoch werden die Herausforderungen, vor allem in der weiterführenden Sprachförderung und dem Einstieg in die Arbeitswelt in den nächsten Jahren noch viel größer werden. Wünschenswert Wären ein weiterer Fortschritt in der staatlichen Sprachförderung, bessere Absprachen zwischen dem Bundesamt und den Kommunen und erfüllbare Voraussetzungen für den Einstieg der Flüchtlinge in die Arbeitswelt. Eine schnelle und vor allem qualitative Integration in das deutsche System, Würde sich letztendlich auch Wieder für die Gesellschaft auszahlen. Denn mit einem guten Arbeitsplatz werden selbstverständlich auch von Flüchtlingen Steuern gezahlt.

Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg, der in naher Zukunft wohl nur mit Hilfe der deutschen Bürger gelingen kann.